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Zulassung von Pflanzenschutzmitteln im zonalen Zulassungsverfahren - Vom Umweltbundesamt geforderte Biodiversitätsanwendungsbestimmungen nicht mit geltendem Recht vereinbar

BRAUNSCHWEIG. Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat Herstellerklagen auf Zulassung von zwei Pflanzenschutzmitteln in Deutschland, mit einer längeren Geltungsdauer als vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) festgesetzt, stattgegeben. Das Urteil der Kammer erging am 4. September 2019 nach mündlicher Verhandlung.

Die Klägerinnen, die Pflanzenschutzmittel herstellen und vertreiben, beantragten im Jahr 2015 in der Tschechischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland die Erteilung zonaler pflanzenschutzrechtlicher Zulassungen. Das Verfahren der zonalen Zulassung ist ein gemeinschaftliches Zulassungsverfahren. Hierbei kann ein Antragsteller einen Zulassungsantrag (wie im vorliegenden Verfahren) u. a. parallel in mehreren Mitgliedstaaten stellen. Die Prüfung des Antrags erfolgt dann durch den prüfenden Mitgliedstaat, hier die Tschechische Republik. Die beteiligten Mitgliedstaaten, hier die Bundesrepublik Deutschland, setzen die Bearbeitung des Antrags solange aus, bis die Bewertung durch den prüfenden Mitgliedstaat vorliegt. Der prüfende Mitgliedstaat gibt den Mitgliedstaaten zunächst die Möglichkeit zur Kommentierung seiner vorläufigen Bewertung und entscheidet unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten für sein Hoheitsgebiet über die Zulassung des jeweiligen Pflanzenschutzmittels. Im Folgenden übermittelt er die erforderlichen Unterlagen und seine Zulassungsentscheidung an die übrigen Mitgliedstaaten derselben Zone. Die anderen betroffenen Mitgliedstaaten entscheiden sodann über den Antrag und gewähren oder verweigern die Zulassung auf der Grundlage der Schlussfolgerungen aus der Bewertung durch den Mitgliedstaat, der den Antrag prüft.

Die Tschechische Republik erteilte im Jahr 2017 bzw. 2018 jeweils nationale Zulassungen für die hier betroffenen Pflanzenschutzmittel. Da von der deutschen zuständigen Behörde, dem BVL, zunächst jedoch keine Zulassungsentscheidungen getroffen wurden, erhoben die Klägerinnen Anfang 2019 Untätigkeitsklagen. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens erteilte das BVL die beantragten Zulassungen für die Pflanzenschutzmittel, begrenzte die Geltungsdauer jedoch bis zum 31. Dezeber 2019, da das Umweltbundesamt (UBA) sein Einvernehmen für die Erteilung der nationalen Zulassungen ab diesem Zeitpunkt an die Bedingung geknüpft hatte, dass Biodiversitätsanwendungsbestimmungen festgesetzt werden.

Die streitgegenständlichen Bestimmungen „Biodiv 1“, „Biodiv 2“ und „NT(neu)“ sahen vor, dass die Mittel zum Schutz der biologischen Vielfalt nur angewendet werden dürfen, wenn auf der Gesamtackerfläche des Betriebes ein ausreichender Anteil an Biodiversitätsflächen vorgehalten wird. Der Anteil wurde als ausreichend angesehen, wenn der Summenwert der gewichteten Biodiversitätsflächen mindestens 10 % des Zahlenwertes der Gesamtackerfläche des Betriebes beträgt. Zugleich beinhalteten die Vorgaben des UBA Dokumentationspflichten und Anwendungsvorgaben. Das UBA sah unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten eine Einhaltung der Anwendungsbestimmungen ab dem 1. Januar 2020 vor. Das Umweltbundesamt begründete die Forderung entsprechender Bestimmungen im Wesentlichen damit, die Verwendung der Pflanzenschutzmittel führe zu unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt, weil diese über Nahrungsnetzeffekte indirekte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt bzw. die Biodiversität hätten.

Die zuständige Kammer hat die Beklagte verpflichtet, den Klägerinnen die pflanzenschutzrechtlichen Zulassungen über den 31. Dezember 2019 hinaus - ohne die Festlegung der geforderten Biodiversitätsmaßnahmen - zu erteilen.

Die Kammer ist der Ansicht, die Berücksichtigung unannehmbarer Auswirkungen auf die biologische Vielfalt bzw. die Biodiversität sei nicht möglich, da es an von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) anerkannten wissenschaftlichen Methoden zur Bewertung dieser Effekte mangele. Die Teilaspekte des Schutzgutes der Umwelt seien vom Verordnungsgeber ausdrücklich unter den Vorbehalt der Festlegung von Bewertungsmethoden durch diese Behörde gestellt worden. Der ausdrückliche Wortlaut der Norm lasse insoweit ein anderes Verständnis nicht zu. Dies gelte sowohl im zonalen Zulassungsverfahren für den Bericht erstattenden Mitgliedstaat als auch für beteiligte Mitgliedstaaten. Zugleich folge hieraus, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt sei, eigene Bewertungsmethoden zur Untersuchung der betroffenen Teilaspekte zu entwickeln und anzuwenden. Sinn und Zweck des Vorbehalts seien unter Berücksichtigung des vom Verordnungsgeber verfolgten Harmonisierungsbestrebens darin zu sehen, gerade für Bereiche, deren Bewertung sich wegen einer Vielzahl einwirkender Faktoren schwierig gestaltet und verschiedenen Lösungsansätzen zugänglich ist, die Anwendung einheitlicher Bewertungsmethoden in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu gewährleisten. Diesem Ergebnis stehe weder das Vorsorgeprinzip noch der Bewertungsmaßstab des „neuesten Standes von Wissenschaft und Technik“ entgegen. Auch die Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Verordnung unterstreiche diese Annahme.

Da die genannten Aspekte derzeit nicht zum zulässigen Prüfumfang bei der Beurteilung der Zulassungsfähigkeit eines Pflanzenschutzmittels gehörten, könnten sie auch nicht die Erteilung von Nebenbestimmungen rechtfertigen.

Auch die vom Umweltbundesamt in Bezug genommenen Normen, Art. 31 und 36 VO (EG) Nr. 1107/2009 sowie § 36 Pflanzenschutzgesetz, stellten keine hinreichenden Rechtsgrundlagen für die Forderung nach Biodiversitätsflächen dar.

Gegen die Urteile können die Beteiligten beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragen.

Die Entscheidungen des Gerichts sind demnächst im Wortlaut abrufbar unter

www. rechtsprechung.niedersachsen.de. (Aktenzeichen: 9 A 11/19 und 9 A 18/19).

Rechtliche Grundlagen:

Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1):

Art. 4 Abs. 3: Genehmigungskriterien für Wirkstoffe

(3) Pflanzenschutzmittel müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:

(…)

e) Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben, und zwar unter besonderer Berücksichtigung folgender Aspekte, soweit es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt:

(…)

iii) Auswirkung auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem.

Art. 31: Inhalt der Zulassungen

(1) In der Zulassung wird festgelegt, bei welchen Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen und nicht-landwirtschaftlichen Bereichen (z. B. Bahnanlagen, öffentliche Bereiche, Lagerräume) und für welche Zwecke das Pflanzenschutzmittel verwendet werden darf.

(2) In der Zulassung werden die Anforderungen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festgelegt. Dazu gehören zumindest die Bedingungen für die Verwendung, die notwendig sind, um die in der Genehmigungsverordnung für die Wirkstoffe, Safener und Synergisten festgelegten Bedingungen und Anforderungen zu erfüllen.

Die Zulassung schließt eine Einstufung des Pflanzenschutzmittels im Sinne der Richtlinie 1999/45/EG ein. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Inhaber einer Zulassung nach einer Änderung der Einstufung und Kennzeichnung des Pflanzenschutzmittels gemäß der Richtlinie 1999/45/EG das Etikett unverzüglich einstufen oder aktualisieren. In diesen Fällen unterrichten sie hiervon umgehend die zuständige Behörde.

(3) Aus den in Absatz 2 genannten Anforderungen muss gegebenenfalls zudem Folgendes hervorgehen:

a) die Höchstdosis pro Hektar bei jeder Verwendung;

b) der Zeitraum zwischen der letzten Verwendung und der Ernte;

c) die Höchstzahl der Verwendungen pro Jahr.

(4) Die in Absatz 2 genannten Anforderungen können Folgendes umfassen:

a) eine Einschränkung in Bezug auf Vertrieb und Verwendung des Pflanzenschutzmittels, die dem Schutz der Gesundheit der Vertreiber, Verwender, umstehenden Personen, Anrainer, Verbraucher oder betroffenen Arbeitnehmer oder der Umwelt dienen sollen, unter Berücksichtigung der Anforderungen aufgrund anderer Gemeinschaftsvorschriften; eine entsprechende Einschränkung ist auf dem Etikett anzugeben;

b) die Verpflichtung, Nachbarn vorab zu unterrichten, die der Sprühnebelabdrift ausgesetzt sein könnten, sofern diese eine Unterrichtung gefordert haben;

c) Angaben über die ordnungsgemäße Verwendung gemäß den in Artikel 14 und Anhang III der Richtlinie 2009/128/EG festgelegten Grundsätzen des integrierten Pflanzenschutzes;

d) Festlegung von Verwenderkategorien (z. B. beruflich oder nicht beruflich);

e) das genehmigte Etikett;

f) die Intervalle zwischen den Anwendungen;

g) gegebenenfalls den Zeitraum zwischen der letzten Anwendung und dem Verzehr des Pflanzenerzeugnisses;

h) die Wiederbetretungsfrist;

i) Größe und Material der Verpackung.

Art. 36: Prüfung der Zulassung

(1) Der Mitgliedstaat, der den Antrag prüft, nimmt eine unabhängige, objektive und transparente Bewertung unter Berücksichtigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik und unter Heranziehung der zum Zeitpunkt des Antrags verfügbaren Leitlinien vor. Er gibt allen Mitgliedstaaten in der gleichen Zone die Gelegenheit zu einer Stellungnahme, die in der Bewertung berücksichtigt wird.

Er wendet die in Artikel 29 Absatz 6 genannten einheitlichen Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an, um so weit wie möglich festzustellen, ob das Pflanzenschutzmittel bei Verwendung gemäß Artikel 55 in der selben Zone und unter realistisch anzunehmenden Verwendungsbedingungen die Anforderungen gemäß Artikel 29 erfüllt.

Der Mitgliedstaat, der den Antrag prüft, stellt seine Bewertung den anderen Mitgliedstaaten derselben Zone zur Verfügung. Das Format des Bewertungsberichts wird nach dem in Artikel 79 Absatz 2 genannten Beratungsverfahren festgelegt.

(2) Die betreffenden Mitgliedstaaten gewähren oder verweigern die Zulassung auf der Grundlage der Schlussfolgerungen aus der Bewertung durch den Mitgliedstaat, der den Antrag gemäß den Artikeln 31 und 32 prüft.

(3) Abweichend von Absatz 2 und vorbehaltlich des Gemeinschaftsrechts können geeignete Bedingungen in Bezug auf die Anforderungen gemäß Artikel 31 Absätze 3 und 4 und andere Maßnahmen zur Risikominderung, die sich aus den spezifischen Verwendungsbedingungen ergeben, festgelegt werden.

Können die Bedenken eines Mitgliedstaats in Bezug auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt nicht durch die Festlegung nationaler Maßnahmen zur Risikominderung gemäß Unerabsatz 1 ausgeräumt werden, so kann ein Mitgliedstaat die Zulassung des Pflanzenschutzmittels in seinem Gebiet verweigern, wenn er angesichts spezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass das betreffende Produkt noch immer ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt.

Dieser Mitgliedstaat unterrichtet den Antragsteller und die Kommission umgehend über seine Entscheidung und legt eine technische oder wissenschaftliche Begründung vor.

Die Mitgliedstaaten sehen die Möglichkeit der Anfechtung einer Entscheidung über die Verweigerung der Zulassung der entsprechenden Produkte vor den nationalen Gerichten oder anderen Berufungsinstanzen vor.

§ 36 Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen – Pflanzenschutzgesetz:

(1) In der Zulassung kann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ergänzend zu den in Artikel 31 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vorgeschriebenen Bestimmungen insbesondere Anwendungsbestimmungen zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und zum Schutz vor sonstigen schädlichen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, einschließlich solcher über

1. den bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung zum Schutz von Gewässern erforderlichen Abstand und Maßnahmen bei der Anwendung,

2. die zur Anwendung berechtigten Personen und

3. spezifische Risikominderungsmaßnahmen in bestimmten Gebieten

festlegen. In der Zulassung kann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit außerdem

1. die Art der Verpackung,

2. die Eignung des Pflanzenschutzmittels für nichtberufliche Anwender unter Berücksichtigung insbesondere der Eigenschaften der Wirkstoffe, der Dosierfähigkeit, der Anwendungsform und der Verpackungsgröße oder

3. die Eignung des Pflanzenschutzmittels zur Anwendung auf Flächen im Sinne des § 12 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 und § 17 Absatz 1

festlegen.

(3) Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit verbindet die Zulassung mit den Nebenbestimmungen, insbesondere Auflagen, die

1. für die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung sowie

2. zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier und zum Schutz vor sonstigen erheblichen schädlichen Auswirkungen, insbesondere für den Naturhaushalt,

erforderlich sind, soweit Regelungen nach Absatz 1 nicht getroffen werden. Ferner verbindet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Zulassung mit dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Anwendungsbestimmungen oder Auflagen. Unbeschadet des § 31 hat der Zulassungsinhaber die nachträgliche Aufnahme, Änderung oder Ergänzungen von Anwendungsbestimmungen oder Auflagen sowie sonstige Änderungen in der Gebrauchsanleitung unverzüglich in geeigneter Weise bekannt zu machen. Geeignet ist auch eine Veröffentlichung auf einer Internetseite des Zulassungsinhabers.

Artikel-Informationen

erstellt am:
06.09.2019
zuletzt aktualisiert am:
10.09.2019

Ansprechpartner/in:
Präsident / Stellv. Pressesprecher Harald Meyer

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