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Verwaltungsgericht lehnt Eilantrag der NPD ab –Stadt Wolfsburg darf Kundgebung auf Hollerplatz verlegen

Die NPD darf die von ihr angekündigte Kundgebung am 17. Januar mit dem Thema „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein – Raus aus dem Euro“ nicht auf dem von ihr dafür vorgesehenen Gelände nahe dem ZOB durchführen. Sie muss entsprechend einer Auflage der Stadt Wolfsburg auf den Hollerplatz ausweichen, der nur über die Rathausstraße angefahren werden darf. Dies hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts gestern Nachmittag in einem Eilverfahren entschieden.

Mit Faxschreiben vom 11. Januar 2013 hatte ein Vertreter der NPD eine einstündige Kundgebung am 17. Januar in der Zeit zwischen 15 und 18 Uhr am „Nordkopf ZOB“, Porschestraße 1, angemeldet. Die Stadt Wolfsburg ordnete mit Bescheid vom 14. Januar an, dass die Versammlung auf dem Hollerplatz vor dem Rathaus und neben dem Kunstmuseum stattfinden muss. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, am angemeldeten Ort entstünde eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Verkehrs, der Hollerplatz sei auch besser zu sichern. Hiergegen hatte die NPD gestern am frühen Nachmittag einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt.

Die Richterinnen und Richter weisen in der Entscheidung auf die auch im Rahmen von Auflagen, also bloßen Beschränkungen einer Versammlung zu beachtende besondere Bedeutung des durch Art. 8 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geschützten Versammlungsrechts hin. Danach darf eine die Versammlung beschränkende Auflage nur dann angeordnet werden, wenn sie zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentlichen Sicherheit erforderlich ist. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung muss eine solche Gefährdung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Für diese Prognose sind nachweisbare Tatsachen erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus. Nach diesen Grundsätzen sei die Verlegung der Versammlung durch die Stadt rechtmäßig.

Im Fall der Kollision des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit mit anderen gleichwertigen Rechtspositionen sei ein Ausgleich der widerstreitenden Positionen mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes anzustreben. Diese Interessenabwägung habe die Stadt hinreichend durchgeführt. Sie sei zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass das öffentliche Interesse an der Verlegung des Versammlungsortes letztlich überwiege. Zu Recht habe sie festgestellt, dass der Verkehrsablauf unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, wenn die Kundgebung der NPD wie von ihr vorgesehen am ZOB stattfände. Zwar beziehe sich das aus Artikel 8 des Grundgesetzes abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters grundsätzlich auch auf den Ort der Versammlung. Zu berücksichtigen sei aber auch das durch das Grundgesetz geschützte Recht der Bürger an einer möglichst ungestörten Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr. In die Interessenabwägung habe die Stadt zutreffend einbezogen, dass der Veranstalter ein Recht auf den größtmöglichen Beachtungserfolg habe, sodass es regelmäßig nicht zulässig sei, eine Versammlung in unbewohntes Gebiet zu verlegen. Zu berücksichtigen war darüber hinaus das Verhältnis zwischen der Anzahl der Versammlungsteilnehmer (laut Veranstalter 10 bis 20) und der Zahl der betroffenen Verkehrsteilnehmer. Der relativ große Hollerplatz befinde sich in der Fußgängerzone an der Porschestraße vor dem Rathaus neben dem Kunstmuseum und sei unter dem Gesichtspunkt der Öffentlichkeitswirksamkeit der angemeldeten Versammlung – so das Gericht – zumindest gleichwertig mit der Fläche am ZOB.

Über ein Verbot der Kundgebung hatte das Gericht nicht zu entscheiden. Auch die Stadt hatte ein Verbot nicht verfügt.

Zum rechtlichen Hintergrund:

Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes gilt auch für Versammlungen Rechtsradikaler. Eine Demonstration darf danach nicht schon deswegen unterbunden oder beschränkt werden, weil dort angreifbare oder abzulehnende politische Auffassungen vertreten werden. Solange eine Partei nicht durch das allein dafür zuständige Bundesverfassungsgericht verboten ist, kann sie sich bei Demonstrationen wie jede andere Partei auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen.

Für alle an der Entstehung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte war es zwar ein zentrales Anliegen, sich von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus abzusetzen, mit der neuen Verfassung also einen Gegenentwurf zu einem menschenverachtenden Regime zu schaffen, das über Europa und die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat. Die Verfassung sollte aber im Vertrauen auf die Kraft der öffentlichen Auseinandersetzung auch ihren Feinden grundsätzlich Meinungsfreiheit gewähren. Das Grundgesetz vertraut auf die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, sich auch mit rechtsradikalen politischen Meinungen auseinanderzusetzen und sie im politischen Meinungskampf abzuwehren; es baut also darauf, dass die freie Auseinandersetzung mit solchen Ansichten und die öffentliche Diskussion darüber die wirksamsten Waffen sind gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.

Nähere Ausführungen zu den grundsätzlichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Demonstrationen Rechtsradikaler enthält eine Informationsschrift des Gerichts, die im Internet abrufbar ist (www.verwaltungsgericht-braunschweig.niedersachsen.de, Menüpunkt Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann die NPD das Rechtsmittel der Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einlegen.

(Aktenzeichen 5 B 16/13)

Artikel-Informationen

erstellt am:
17.01.2013

Ansprechpartner/in:
Vizepräsident/Pressesprecher Dr. Torsten Baumgarten

Verwaltungsgericht Braunschweig
- Pressestelle -
Wilhelmstraße 55
38100 Braunschweig
Tel: 0531 488-3018 oder -3082
Fax: 05141 593733001

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