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Rechte dürfen nur zeitlich und räumlich eingeschränkt in Wolfsburg demonstrieren

Die für den 1. Juni für die Wolfsburger Innenstadt angekündigte Demonstration unter dem Motto „Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft“ darf nur zeitlich und räumlich eingeschränkt stattfinden: Sie muss eine andere Route nehmen und darf nur bis 18 Uhr dauern. Die Beschränkungen sind erforderlich, um mit der Versammlung verbundene Gefährdungen und Beeinträchtigungen Unbeteiligter auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Ein vollständiges Verbot der Demonstration, wie die Stadt Wolfsburg es gegenüber dem Veranstalter ausgesprochen hatte, ist hingegen rechtswidrig. Dies hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts am 10. Mai 2013 in einem Eilverfahren entschieden. Der Beschluss liegt seit heute schriftlich vor. Das Gericht hat die Entscheidung den Verfahrensbeteiligten gegen Mittag zugeleitet.

Die rechte Demonstration, zu der ca. 700 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet werden, sollte ursprünglich in der Zeit von 12 bis 22 Uhr stattfinden. Neben Kundgebungen auf dem Bahnhofsvorplatz sowie am Brandenburger Platz und an der Kreuzung Siemensstraße/Friedrich-Ebert-Straße sollte der Demonstrationszug über die Porschestraße, die Kleiststraße, die Lessingstraße, die Laagbergstraße und die Friedrich-Ebert-Straße führen. Ursprünglich hatte der Veranstalter darüber hinaus beabsichtigt, den Aufzug über den Hochring, die Röntgenstraße, die Braunschweiger Straße und die Siemensstraße zu leiten. Die Stadt Wolfsburg hatte die Durchführung der Demo mit Bescheid vom 28. März 2013 untersagt.

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist die rechte Demo bis 18 Uhr mit folgendem geänderten Streckenverlauf durchzuführen: Vorplatz des Museums Phaeno - dort Möglichkeit zur Auftaktkundgebung -, An der Vorburg, Maybachweg, Daimlerstraße, Lerchenweg, Dieselstraße, Robert-Bosch-Weg, Daimlerstraße, Maybachweg, An der Vorburg, Vorplatz des Museums Phaeno - dort Möglichkeit zur Abschlusskundgebung -.

Zur Begründung führt das Gericht in seiner Entscheidung aus: Nach den Erfahrungen aus früheren ähnlichen Veranstaltungen in anderen Städten sowie nach Auswertung der polizeilichen Erkenntnisse müsse mit ganz erheblichen, auch gewalttätigen Stör- und Blockadeaktionen gegen die rechte Demo gerechnet werden. Dies mache es zur Aufrechterhaltung der Sicherheit unbedingt erforderlich, die Aufzugsstrecke für die gesamte Dauer abzusperren. Auf der vom Veranstalter der rechten Demo vorgesehenen Route führe dies zu einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung wichtiger Rettungswege für die Feuerwehr und die Notfallrettung – anders als auf der durch den Beschluss des Gerichts festgelegten Aufzugsroute. Darüber hinaus sei die vom Veranstalter gewünschte Route im Bereich der Porschestraße polizeilich nicht hinreichend gegen Störmaßnahmen zu sichern. Auf dieser Route hätte die Demo auch den öffentlichen Personenverkehr in Wolfsburg zu stark beeinträchtigt. Die Stadt Wolfsburg habe es dem Veranstalter deswegen zu Recht untersagt, die Demonstration auf der von ihm vorgesehenen Strecke durchzuführen.

Das vollständige Verbot der Veranstaltung sei aber rechtswidrig, weil sich die beschriebenen Beeinträchtigungen bzw. Gefahren durch die beschlossene zeitliche und räumliche Einschränkung der Veranstaltung ausräumen bzw. auf ein hinnehmbares Maß reduzieren ließen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sich der Veranstalter auf die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berufen könne.

Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts können der Antragsteller, die Stadt und die beigeladene Veranstalterin einer Gegendemonstration das Rechtsmittel der Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einlegen.

(Aktenzeichen 5 B 79/13)

Zum rechtlichen Hintergrund:

Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes gilt auch für Versammlungen Rechtsradikaler. Eine Demonstration darf danach nicht schon deswegen unterbunden oder beschränkt werden, weil dort angreifbare oder abzulehnende politische Auffassungen vertreten werden.

Für alle an der Entstehung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte war es zwar ein zentrales Anliegen, sich von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus abzusetzen,mit der neuen Verfassung also einen Gegenentwurf zu einem menschenverachtenden Regime zu schaffen, das über Europa und die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat. Die Verfassung sollte aber im Vertrauen auf die Kraft der öffentlichen Auseinandersetzung auch ihren Feinden grundsätzlich Meinungsfreiheit gewähren. Das Grundgesetz vertraut auf die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, sich auch mit rechtsradikalen politischen Meinungen auseinanderzusetzen und sie im politischen Meinungskampf abzuwehren; es baut also darauf, dass die freie Auseinandersetzung mit solchen Ansichten und die öffentliche Diskussion darüber die wirksamsten Waffen sind gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Bevor ein Verbot ausgesprochen wird, ist immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d. h. von einem Verbot ist abzusehen, wenn der Gefahr hinreichend durch entsprechende Beschränkungen der Demonstration begegnet werden kann.

Soweit sich rechtsextreme Aufmärsche auf das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit berufen können, umfasst dieses Recht auch die Pflicht des Staates – insbesondere der Polizei –, diese wie alle anderen Versammlungen vor Behinderungen, Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen.

Nähere Ausführungen zu den grundsätzlichen Rechtsfragen, die sich bei Demonstrationen Rechtsradikaler stellen, enthält eine Informationsschrift des Gerichts, die im Internet abrufbar ist (www.verwaltungsgericht-braunschweig.niedersachsen.de, Menüpunkt Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Artikel-Informationen

erstellt am:
13.05.2013

Ansprechpartner/in:
Vizepräsident/Pressesprecher Dr. Torsten Baumgarten

Verwaltungsgericht Braunschweig
- Pressestelle -
Wilhelmstraße 55
38100 Braunschweig
Tel: 0531 488-3018 oder -3082
Fax: 05141 593733001

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