Niedersachsen klar Logo

Versicherungen streiten um Vermarktungsrechte

VGH beantragt einstweilige Anordnung gegen Öffentliche Versicherung / Verwaltungsgericht will im März entscheiden

Die Versicherungsgruppe Hannover (VGH) und die Öffentliche Versicherung Braunschweig (ÖB) streiten in zwei Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig um das Recht, Lebensversicherungen sowie Unfall- und Kfz-Versicherungen im Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Aurich zu vermarkten. Die 1. Kammer des Gerichts hat den beteiligten Versicherungen Gelegenheit gegeben, bis Ende Februar Stellung zu nehmen. Danach will das Gericht entscheiden. Bis zum 16. März 2007 dürfte der Beschluss vorliegen.

(Aktenzeichen: 1 B 14/07, 1 B 16/07)

Zur VGH (Antragstellerin in den gerichtlichen Eilverfahren) gehören die Provinzial Lebensversicherung Hannover und die Landschaftliche Brandkasse Hannover. Die Provinzial wurde im Jahr 1918 als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der damaligen preußischen Provinz Hannover errichtet und betrieb im Gebiet der Provinz - wozu seinerzeit der frühere Regierungsbezirk Aurich gehörte - die Lebensversicherung (später auch die Haftpflicht-, Unfall- und Kfz-Versicherung). Die Brandkasse Hannover betreibt seit 1995 im Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Aurich die Kfz- und die Unfallversicherung.

Die ÖB (Antragsgegnerin) betreibt satzungsgemäß die Lebensversicherung sowie u. a. die Kfz- und Unfallversicherung im Geschäftsgebiet des ehemaligen Freistaats Braunschweig.

Das Geschäftsgebiet der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse/Feuerversicherung (OF), die als Beigeladene an den Gerichtsverfahren beteiligt ist, ist satzungsgemäß der ehemalige Regierungsbezirk Aurich. Unternehmenszweck ist der Betrieb der Feuer- und Schadensversicherung mit Ausnahme der Kraftfahrtversicherung. Nach ihrer Satzung kann sie auch Versicherungsverträge, Spar- und Bausparverträge sowie Geschäfte, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Versicherungsverträgen stehen, anderen Unternehmen vermitteln.

Anfang der 90iger Jahre scheiterte eine Kooperation zwischen der VGH und der OF. Die geschlossenen Verträge wurden 1997 und 2002 gekündigt. Danach suchte die OF einen Produktgeber für die von ihr selbst nicht angebotenen Versicherungssparten (darunter die Kfz-, Unfall- und Lebensversicherung), um dann ihrerseits als Vermittler für den Produktgeber aufzutreten. Parallel dazu wurden im Jahre 2002 wegen der Abgrenzung der satzungsmäßigen Geschäftsgebiete der Antragstellerin und der Beigeladenen Gespräche im Niedersächsischen Finanzministerium, der Rechtsaufsichtsbehörde über die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen, geführt. Die Gesprächsteilnehmer waren bemüht, eine strukturelle Lösung für die OF zu finden und den Eintritt privater Versicherungen über das Vertriebsnetz der Öffentlichen Versicherungen zu vermeiden. Das Ministerium machte deutlich, dass ein Regelungszwang hinsichtlich der Geschäftsgebiete bestehe.

Ab 2003 suchte die OF nach einem Produktgeber für die nicht von ihr betriebenen Versicherungssparten und fand ihn mit der ÖB. Beide schlossen im Oktober 2003 einen Vertrag mit einer Laufzeit bis zum 30. September 2013, in welchem sich die OF verpflichtet, als Vermittlungsagent tätig zu werden, in ihrem Geschäftsgebiet eine Agentur der ÖB zu übernehmen und an die ÖB Versicherungen zu vermitteln. Der Präsident des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes und die Aufsichtsbehörde baten sodann den Vorstand der VGH im Interesse der Befriedung der Situation um Zustimmung zu dieser Lösung. Die VGH wies auf die Notwendigkeit ihrer Zustimmung hin und erteilte sie befristet bis zum 31. Dezember 2006.

Nachdem die Angelegenheit in den folgenden Jahren weiter eskaliert und es zu weiteren Klageverfahren gekommen war, erklärte die VGH mit Schreiben vom 27. November 2006, sie sei mit der Tätigkeit der ÖB im früheren Regierungsbezirk Aurich über den 1. Januar 2007 hinaus nicht einverstanden. Daraufhin teilte die ÖB am 18. Dezember 2006 mit, sie gehe davon aus, dass der ehemalige Regierungsbezirk Aurich das Geschäftsgebiet der OF sei, sodass nach dem Wegfall der Zustimmung der VGH gleichwohl die weiteren Voraussetzungen für die Produktgeberschaft vorlägen.

Die VGH hat daraufhin Klage erhoben und einstweilige Anordnungen (um die es hier zunächst geht) beantragt. Sie trägt vor, sie müsse bei Fortsetzung der Geschäftstätigkeit der ÖB erhebliche Nachteile hinnehmen, die nicht mehr zu kompensieren wären. Nach dem Niedersächsischen Gesetz über die Öffentlichen Versicherungen dürften öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten nur in ihrem Geschäftsgebiet Versicherungen zeichnen. Im Geschäftsgebiet anderer öffentlich-rechtlicher Versicherungsunternehmen dürften sie nur mit deren Einverständnis Versicherungen abschließen. Demzufolge bestehe ein Anspruch gegen die ÖB, dass diese ab dem 1. Januar 2007 im ehemaligen Regierungsbezirk Aurich sofort alle Tätigkeiten unterlasse, die ihr das Zeichnen von Versicherungen mit dort ansässigen Personen ermögliche. Da nach dem eindeutigen Wortlaut ihrer Satzung der ehemalige Regierungsbezirk Aurich zu ihrem Geschäftsgebiet gehöre, dürfe die ÖB nur mit ihrer Zustimmung dort Versicherungen zeichnen. Diese Zustimmung sei mit dem Jahreswechsel erloschen. Die Zustimmung der OF reiche für die Geschäftstätigkeit der ÖB nicht aus.

Die ÖB erwidert, eine einstweilige Anordnung dürfe vor Abschluss des Klageverfahrens nicht ergehen: Die wirtschaftlichen Folgen wären für sie und die OF gravierender, als die von der VGH für den Fall des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung geltend gemachten wirtschaftlichen Folgen. Sie dürfe im ehemaligen Regierungsbezirk Aurich allein aufgrund der ihr erteilten Genehmigung der OF tätig werden. Ostfriesland sei jedenfalls auch deren Geschäftsgebiet. Sie benötige nicht die Zustimmung der VGH. Darüber hinaus fehle es an dem erforderlichen Eilbedürfnis, weil die VGH ihr wirtschaftliches Ziel, in Ostfriesland Konkurrenz durch einen anderen öffentlichen Versicherer zu unterbinden, wirksam nur durch einen Antrag gegen die OF erreichen könnte. Diese sei nämlich nicht daran gehindert, mindestens mittelfristig einen anderen Produktgeber, z. B. ein anderes öffentlich-rechtliches Versicherungsunternehmen zu finden und dessen Produkte anzubieten. Da die VGH im ehemaligen Regierungsbezirk Aurich in den Versicherungssparten Lebens-, Kfz- und Unfallversicherung tätig werden dürfe, entgehe ihr im Ergebnis allenfalls ein potenzielles Geschäft, wobei dieses Geschäft nur einen Bruchteil der derzeit von der OF akquirierten und zum Abschluss von Versicherungsverträgen an die ÖB vermittelten Versicherungskunden umfasse.

Sie, die ÖB, habe zum Aufbau des Geschäfts in Ostfriesland hingegen hohe Investitionen getätigt und seit 2003 5984 Kraftfahrzeugversicherungsverträge, 363 Unfallversicherungsverträge und 677 Lebensversicherungsverträge abgeschlossen. Demgegenüber habe die VGH durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nur geringfügige Vorteile. Zum einen könne sie nicht davon ausgehen, sämtliche Versicherungskunden zu akquirieren, die auf dem Markt dann frei würden. Vielmehr würde die VGH an dem Neugeschäft nur in der ungefähren Höhe ihres Marktanteils auf dem Regionalmarkt partizipieren. Wenn man das Versicherungsgeschäft der VGH insgesamt betrachte und zum Vergleich den Geschäftsbereich Ostfriesland nehme, werde das deutlich. Die Antragstellerin habe nämlich ausweislich ihres Geschäftsberichts 2005 einen Bestand von 1.800.628 Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen, 356.260 Unfallversicherungen und 794.242 Lebensversicherungen gehabt. Eine einstweilige Anordnung vor Abschluss der Klageverfahren sei deshalb nicht nötig.

Die OF hat sich im Eilverfahren noch nicht geäußert.

Artikel-Informationen

erstellt am:
08.02.2007
zuletzt aktualisiert am:
30.06.2010

Ansprechpartner/in:
Vizepräsident/Pressesprecher Dr. Torsten Baumgarten

Verwaltungsgericht Braunschweig
- Pressestelle -
Wilhelmstraße 55
38100 Braunschweig
Tel: 0531 488-3018 oder -3082
Fax: 05141 593733001

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln